Portraits


	
						
	
	

				
			

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Erfunden hat ihn Brauer Cord Broyhan, exakt am 31. Mai 1526 in Stöcken bei Hannover. Vom Start weg war seine Erfindung, der Broyhan, ein überaus beliebtes Bier in Deutschland. Heute kennt den Bierstil aber kaum noch jemand. Unser Autor Günther Thömmes („Der Bierzauberer“) hat sich auf Spurensuche begeben und zusammengetragen, was den Broyhan so beliebt und zum König der ausgestorbenen Bierstile macht.

Hannoveraner Brauordnung von 1719
Hannoveraner Brauordnung von 1719

Es ist für einen engagierten Braumeister eine wunderbare Sache, wenn er einen alten Bierstil wiederentdeckt und formvollendet neu entwickeln kann. Leider ist diese Art der Neuentwicklung beim Broyhan selbst nicht so gut möglich. Der Broyhan ist/war einer der widersprüchlichsten Bierstile, die wir kennen. Das liegt sicher daran, dass sein „Erfinder“, Braumeister Cord Broyhan, sein Rezept zumindest am Anfang streng unter Verschluss hielt. Die Vermutung liegt nahe – genau wie bei der Gose –, dass es anfangs ein brautechnischer Unfall war. Denn Cord Broyhan wollte eigentlich ein Hamburger Bier brauen (Speckmann, W. D.: „Biere, die Geschichte machten“, Archiv Hopfen & Malz, 2005). Ein Unfall, der aber so gut schmeckte und sich glücklicherweise reproduzieren ließ, dass der Erfinder davon reich wurde. 

 

So war der Broyhan (wahrscheinlich)

Der Broyhan war ein helles, aber sehr trübes, obergäriges Bier, trotz markanter Süße leicht säuerlich-weinig im Geschmack, wenig bis gar nicht gehopft und mit sehr niedrigem Alkoholgehalt (2-3 Vol.-%). Jedoch schon bei der Farbe ist nicht alles gesichert, Plagiate späterer Zeit waren nämlich auch durchaus dunkel. Es gibt Quellen, die den Broyhan als Weizenbier bezeichnen, andere wieder nicht. Jedes Rezept, jede Überlieferung ist unterschiedlich, insofern ist dort keine Festlegung möglich. Broyhan war angeblich ungewöhnlich hell, wie frischer Weißwein. Und da er auch sehr trüb war, kann man ihn sich heute wie frischen Federweißen vorstellen.

Bei der Malzkomposition scheint erwähnenswert, dass Broyhan offensichtlich vorzugsweise aus luftgetrocknetem Malz gebraut wurde, und somit nicht den sonst üblichen Rauchgeschmack gedarrter Malze aufwies. Damit kam das weinig-säuerliche Aroma noch besser zur Geltung und unterschied den Broyhan geschmacklich noch mehr von den anderen Bieren seiner Zeit.

Bei der Hopfung besteht weitgehend Einigkeit in der Meinung, dass der Broyhan so gut wie hopfenlos war. Unterschiede sind eher akademischer Natur: War er komplett hopfenlos, warf der Brauer der guten Ordnung halber ein bis zwei Dolden in den Braukessel – oder verstopfte er den Auslauf der Pfanne mit ein paar Dolden, durch die sich das frische Jungbier drücken musste?

Etikett der „Städtischen Broyhan Brauerei“
Etikett der „Städtischen Broyhan Brauerei“ – heute Teil der Gilde-Brauerei

Gewürze und Kräuter?

In der deutschsprachigen Literatur war kein Hinweis zu finden, dass der Original-Broyhan ansonsten in irgendeiner Weise gewürzt war. Lediglich Ron Pattinson und einige spätere (Plagiats-)Rezepte erwähnen die gelegentliche Zugabe von Nelke, Zimt oder Koriander. 

 

Süßbier, Sauerbier, Unfall?

Die Säure des Broyhans schwankte stark. Ein wenig war immer drin, das entsprach den technischen Produktionsmöglichkeiten der jeweiligen Zeit. Mit Sicherheit kann man jedoch sagen, dass der Broyhan niemals gezielt als Sauerbier produziert wurde, sondern ohne Hopfen einfach empfindlicher für Infektionen war.

Kein einziges altes Rezept erwähnte die Säure, weder als Unfall noch absichtlich produziert. Ganz im Gegenteil: Stets gelobt wurde die angenehme Süße des Broyhans und in alten Lehrbüchern – auch in Barings Broihan-Buch von ca. 1750 (Barings, D. E.: Broihan, ca. 1750) – wird mehrmals erwähnt, Bier dürfe nicht sauer schmecken. Die Überlieferungen des säuerlichen Beigeschmacks lassen denn auch eher Lactobazillen vermuten als Essigsäure oder sogar Brettanomyces (Bruxellensis, Claussenii oder Lambicus). Gerade weil Cord Broyhan vorher in Hamburg sogenannte „englische Biere“ gebraut hatte, wird er vor dem „Britischen Pilz“, wie Brettanomyces dann später genannt wurde, Respekt gehabt haben. Es ist anzunehmen, dass er alles daran setzte, diesen aus seiner Brauerei herauszuhalten. 

 

Die Hefe

Broyhan war ein obergäriges Bier, ganz ohne Frage. Ein beliebtes Argument ist nun, dass die Unterscheidung zwischen Ober- und Untergärung bzw. die Reinzucht untergäriger Hefen doch erst im 19. Jahrhundert entdeckt wurde. Das stimmt so jedoch nicht. Der Unterschied zwischen Ober- und Untergärung war seit Langem bekannt (siehe Münchner Polizeiordnung von 1420). Laut Dr. Martin Zarnkow erfolgte zu Beginn des 16. Jahrhunderts langsam der Übergang von der obergärigen zur untergärigen Brauweise, zumindest für die Sommer-Lagerbiere (Meußdoerffer, F.; Zarnkow, M.: Das Bier: Eine Geschichte von Hopfen und Malz, C.H. Beck, 2016)

 

Die Verbreitung des Broyhans

Der Broyhan wanderte schnell weiter aus Hannover und fand Verbreitung in ganz Norddeutschland. Der Erfinder selbst exportierte bald schon in berühmte Bierstädte wie Bremen, Hamburg oder Lübeck. Markenschutz gab es damals nicht, und so wurde der Broyhan oft und gerne kopiert. In Halberstadt und Gotha braute man Broyhan, in Seehausen und Brandenburg, in Hildesheim und Göttingen, Schönebeck und Boizenburg und in vielen anderen Orten – sogar in Skandinavien. Und so wetteiferten die Städte bald darum, wer den besten Broyhan braute. Halberstadt lag immer recht weit vorne, Leipzig lag meist am Ende.

Broyhan war derart populär, dass er für andere Brauer und Bierstile zur wirtschaftlichen Bedrohung wurde. Manche Städte schotteten sich ab, genau wie umgekehrt die Stadt Hannover den Broyhan gegen Fremdimporte schützte. 1558 wurde z.B. das beliebte Einbecker Bier verboten! Hamburg zog andere Lehren aus dem Erfolg ihres wandernden Brauergesellen Cord Broyhan: Sie verboten den Brauern einfach, weiterzuziehen. 

 

Das Ende

Das 16. und 17. Jahrhundert war die Blütezeit Hannovers als Bierstadt. Cord Broyhan starb 1570 als reicher Mann. Im Jahr 1609 wurde zum Andenken an ihn in Hannover eine 1-Pfennig-Kupfermünze geprägt. Die Gilde-Brauerei Hannover führt diesen Taler bis heute, leicht abgewandelt, als Logo. Im 19. Jahrhundert ging es dann rapide bergab mit der Reputation des Broyhans. Die letzten Biere seiner Art wurden um die Zeit des 1. Weltkrieges gesichtet. Eine Kombination aus nachlassendem Kundeninteresse und Nachlässigkeit der Brauer ließ dieses einstmals beliebteste Bier Norddeutschlands für eine ganze Weile komplett von der Bierlandkarte verschwinden. Für den Bierhistoriker Ron Pattinson ist der Broyhan daher „Der König der ausgestorbenen Bierstile“ (Pattinson, R.: The Homebrewer’s Guide to Vintage Beer, Quarry Books, 2014)!